Autorenporträt:
Wer ist Uticha Marmon?

von Kerstin Bönsch
Bild: Gabi Waldmann

Mit diesem Namen musste sie fast Schriftstellerin werden, denn er ist so wunderschön, dass er einen Künstlernamen erübrigt: Uticha Marmon. Der Vorname Uticha stammt aus dem Elsaß. Die Eltern der Autorin hatten ihn einst in einem Kloster in der Nähe von Straßburg entdeckt. Der Nachname Marmon geht vermutlich auf Vorfahren in der italienischen Region Piemont zurück. Als Uticha Mamon ihr erstes Kinderbuch publizierte, riet auch die Lektorin, unter diesem Namen in die Öffentlichkeit zu treten. „Ich darf mir mit diesem Namen nur keine Skandale erlauben, denn ich habe keinen anderen“, lacht die Autorin heute.

Uticha Marmon lebt als freie Schriftstellerin, Dramaturgin und Lektorin in Freiburg im Breisgau. Sie ist in Berlin geboren und wuchs in Aachen und in Esslingen bei Stuttgart auf. Da ihre Eltern vom Bodensee stammen, bezeichnet sie sich selbst als „süddeutsch sozialisiert“. Sie studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Pädagogik in Mainz, Wien und München, bevor sie ihre erste Stelle bei den Münchner Kammerspielen als Theaterdramaturgin annahm. Uticha Marmon brannte damals fürs Theater - das tut sie heute noch -, aber die schwierigen Arbeitszeiten mit den vielen Abend- und Wochenendterminen setzten ihr zu. Sie wechselte schließlich zu einem Hörbuchverlag in Hamburg, wo sie weiterhin mit Schauspielerinnen und Schauspielern zusammenarbeiten konnte, nur eben ohne die Bühne. Sie schrieb Texte, führte Regie für Hörbücher und Hörspiele und übernahm auch die Verantwortung für Gesamtproduktionen. Im Fokus ihrer Arbeit stand bereits damals das Angebot für Kinder.

Debüt und mehrfache Auszeichnung als Kinder- und Jugendbuchautorin

Eines Tages war sie auf einmal da - eine Idee für ein Kinderbuch. Lange hatte sie bereits Geschichten in sich getragen, auch teilweise aufgeschrieben, aber sich nicht getraut, sie einem Buchverlag vorzulegen. Mit dem Manuskript zu Als Opapi das Denken vergaß ging sie auf verschiedene Verlage zu. Das Buch erschien 2014 im Magellan Verlag. Seitdem ist sie nicht nur als Hörbuchproduzentin, sondern auch als Kinderbuchautorin erfolgreich. 2016 erhielt sie den Leipziger Lesekompass für ihr Kinderbuch Mein Freund Salim - eine Geschichte über einen syrischen Flüchtling. Ihr Corona-Kinderbuch Das stumme Haus wurde 2020 mit dem Hamburger Literaturpreis prämiert. Mit Artur & Ananas Bei mir piept's wohl! schaffte sie es auf die Shortlist zum Deutschen Kinderbuchpreis 2022. Und im selben Jahr erhielt sie den Kirsten-Boie-Preis für das bislang unveröffentlichte Manuskript Frieda und Nikki, die Grenzkuh und der zufällige Weltfrieden. Der Kirsten-Boie-Preis wird von der Hamburger Literaturstiftung in Kooperation mit dem Literaturhaus Hamburg und den Verlagen Carlsen und Oetinger vergeben. In der Jurybegründung hieß es: „Ein zerstrittenes Dorf, ein überschaubarer Kosmos, eine Kuh, die auf der Grenze kalbt – Uticha Marmon erzählt scharfsinnig, eindringlich und komisch von großen Themen im Kleinen, von Krieg und Frieden, Besitzansprüchen und Geheimnissen. Im Mittelpunkt: ein Mädchen, ein Junge und jede Menge eigenwillige Erwachsene“. Das Buch wird 2023 im Carlsen Verlag erscheinen. 

„Kinder nehmen schon wahr, dass es gerade knirscht“

Uticha Marmon ist es wichtig, mit Kindern ins Gespräch zu kommen. So hört sie bei ihren Lesungen auch gerne zu, was den kleinen Menschen auf der Seele brennt und bindet später deren Sorgen, Ängste und Träume in ihre Schreibvorhaben ein. Die Autorin besucht vor allem dritte und vierte Klassen in der Grundschule. Sie erfährt hier, dass Kinder viel von der Welt und der Verunsicherung ihrer Eltern mitkriegen. „Kinder nehmen schon wahr, dass es gerade knirscht“, so die Autorin. Corona, Klimawandel, der Ukraine-Krieg oder auch die Sorgen der Eltern um die Versorgung im Winter gingen an den Kindern nicht spurlos vorbei, meint sie. „Kinder wollen das auch erklärt haben.“ Kinder ernst zu nehmen und ihnen Schwierigkeiten zu erklären, das war auch einer der Gründe für ihr Kinder-Corona-Buch Das stumme Haus (2021, Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag). Das Buch stellte die Autorin auch auf mehreren Lesungen in der Stadtbibliothek Ludwigsburg im Rahmen des Literatursommers Baden-Württemberg vor. Die Geschichte handelt von Familien in einem engen, fünfstöckigen Mehrfamilienhaus, das von dessen vielen Bewohnerinnen und Bewohnern liebevoll der „Kaninchenbau“ genannt wird. Das Setting dokumentiert damit nicht die Corona-Probleme im Alltag einer klassischen vierköpfigen Familie im Eigenheim, sondern erzählt von den Sorgen und Nöten der Kinder, deren Eltern Krankenschwestern und Putzkräfte sind, während der Pandemie kein Homeoffice machen können und teilweise sogar auf die Tafel angewiesen sind. Ein Buch über die Herausforderungen in diesem Milieu zu schreiben, lag Uticha Marmon am Herzen. „Auch diese Kinder brauchen Identifikationsfiguren in der Literatur“, resümiert die Autorin. 

Leidenschaft für melancholische Bücher

Als Uticha Marmon selbst noch ein Kind war, schlug ihr Herz für melancholische Kinder- und Jugendbücher. Nicht etwa Pipi Langstrumpf von Astrid Lindgren begeisterte sie, sondern Mio, mein Mio oder Die Brüder Löwenherz. Ebenso hatten es ihr Momo von Michael Ende und Krabat von Otfried Preußler angetan. Sie widmete sich gerne sozialkritischen Büchern und Jugendbelletristik mit ernsten Themen. Die frühe Lektüre färbte auch auf ihre eigene Schriftstellerei ab. Nach einem Buch über einen syrischen Flüchtling (Mein Freund Salim) und Herausforderungen in der Corona-Pandemie (Das stumme Haus) - um nur zwei exemplarisch zu nennen - folgte ihr Buch über Trauerbewältigung. Als meine Schwester fliegen lernte erschien 2022 im Sauerländer Verlag und setzt trotz des schwierigen Themas auf Leichtigkeit und Humor. Uticha Marmon steht als Autorin für eine gute Mischung aus politischen und sozialkritischen Themen, ohne Humor und Leichtigkeit zu vernachlässigen. Das legt auch ihre Antwort auf die Frage nahe, mit wem sie gerne einmal einen Kaffee trinken gehen würde. Auf die Schnelle fallen ihr dabei Michelle und Barack Obama, Astrid Lindgren, Erich Kästner und Karl Valentin ein.