Mit nur 27 Jahren veröffentlicht Ronya Othmann ihr Romandebüt „Die Sommer“. Ebenso wie für ihren nachfolgenden Lyrikband „die verbrechen“ und den dokumentarischen Roman „Vierundsiebzig“ erhält sie dafür zahlreiche literarische Auszeichnungen. Fiktional, lyrisch und dokumentarisch verschreibt sich Othmann aus der Diaspora dem Genozid an der jesidischen Minderheit im Nordirak.
Ob das Schreiben zu Ronya Othmann kam oder sie zum Schreiben, lässt sich nicht klar sagen. Die junge Autorin, die in Freising in Bayern aufgewachsen ist, bezeichnet sich als echtes “Stadtbücherei-Kind“. Eines, dass sich am Anfang der Sommerferien stapelweise Bücher ausgeliehen hat und trotzdem immer wieder Lese-Nachschub holen ging. Auch mit dem Schreiben hat sie bereits als Kind angefangen. Ihre erste Leserin war (unfreiwilligerweise) ihre Schwester. „Ich habe quasi immer schon für eine andere Person geschrieben, weil meine Schwester mein Tagebuch mit einer Nadel knacken konnte“, lacht Othmann. Und mit dem Schreiben hat sie seitdem nicht mehr aufgehört – die Themen kommen zu ihr, drängen sich ihr fast schon auf.
Politische Kindheit geprägt von der Diaspora
Dabei war bereits ihre Kindheit immer auch von der Diaspora geprägt: Ihr Vater ist Êzîde und Othmann hat Familie in Shingal in der Autonomen Region Kurdistan (im Nordirak), in der Türkei und Syrien. Bereits als kleines Kind schärften ihre Eltern ihr ein, in Nordsyrien nicht von Kurdistan zu reden, sondern zu erzählen, dass sie zu Oma und Opa fährt. In Deutschland nehmen sie als Familie an kurdischen Demonstrationen teil. „Es ist nicht so, dass ich mich politisiert habe. Aber wenn dein Leben und das deiner Familie von den politischen Umständen abhängt, wirst du es.“, fasst Othmann es rückblickend zusammen.
Sie erinnert sich, dass sie 2011, als die Proteste gegen das Assad-Regime begannen, hoffte, dass sich alles verändern kann. Nach der Schule wäre sie gerne für ein Jahr nach Nordsyrien und in den Irak gegangen. Aber dann kommt alles anders: Am 3. August 2014 beginnt der Völkermord an den Êzîden in der nordirakischen Stadt Shingal, eines der letzten mehrheitlich jesidischen Siedlungsgebiete. Laut UN wurden 5.000 Êzîden vom Islamischen Staat ermordet, 400.000 aus ihrer Heimat vertrieben. Othmann beschreibt den Völkermord als Zäsur, die alles verändert hat. „Ich bin mit Geschichten der Verfolgung aufgewachsen“, reflektiert Othmann, „aber 2014 wurde die Vergangenheit auf die brutalste Art und Weise die Gegenwart“. Ihr Fortschrittsglaube, dass religiöser Fanatismus im 21. Jahrhundert abnimmt, zerbricht. Sie selbst ist zu dem Zeitpunkt 21 Jahre alt und hat gerade ihr Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig begonnen. Bereits kurz vor dem 3. August hat sie ihren späteren Debütroman „Die Sommer“ begonnen, da sie wusste, dass jesidisches Leben so nicht mehr weiter existieren würde.